Die semi-aktiven Kandidaten sind die immer wieder übersehene mittlere Kandidatengruppe aus dem Kandidaten-Universum. Sie sind diejenigen, die derzeit nicht direkt und aktiv suchen, aber aus verschiedenen Gründen offen für eine Ansprache sind oder sich bereits auf diese vorbereitet haben – nur selbst nicht (augenblicklich) auf die Suche gehen.

Semi-aktive Kandidaten – der besondere Teil des Kandidaten-Universums

Semi-Aktive Kandidaten sind in der Regel in einem festen Beschäftigungsverhältnis, aber nicht mit ihrem Arbeitgeber oder in ihrer Position zufrieden. Einige dieser Gruppe sind instabile Job-Hopper, die in kurzen Abständen ihre Arbeitgeber wechseln. Bei anderen ist die Ursache der Instabilität ihres Lebenslaufes die Wahl einer problematischen Branche, eines Berufs ohne Zukunft oder einfach aufgrund eines wirtschaftlich schlingernden Arbeitgeber-Unternehmens.

Es können aber auch persönliche oder private Problemen dahinter liegen, von Gesundheit bis gar zur Orientierungslosigkeit ist vieles als Ursache vorstellbar. Oder bei einfach, dass sie an eine Karriere-Decke gestossen sind und nicht mehr weiterkommen. Es kann also der Idealkandidaten genauso wie ein Problemkandidat sein.

Was sind semi-aktive Kandidaten?

Semi-Aktive Kandidaten befinden sich oft in der ersten Hälfte ihrer Karriere – junge Menschen sind von Natur aus etwas veränderlicher in ihren Fähigkeiten, Erfahrung und Erwartungen, aber auch Zielen. Sie können dafür aber bereits wertvolle Lebenserfahrung mitbringen, da sie oft bereits über den Tellerrand gesehen haben. Ungerade Lebensläufe junger Menschen sind langfristig vielfach eher ein Vorteil als ein Nachteil – man muss die Ursachen und Chancen prüfen.

Es können Berufseinsteiger sein, die in Berufen arbeiten, in denen Kettenpraktika üblich sind (Journalisten, Werbung) und sie deshalb Schwierigkeiten haben, eine gute Festanstellung zu finden. Aber es kann sich auch um Young Professionals handeln, die sich auf eine Branche spezialisiert haben, die sich derzeit im wirtschaftlichen Abschwung befindet und nur befristete Arbeitsverträge anbietet.

Aber Achtung: Semi-aktive Kandidaten haben alle Besonderheiten

Semi-Aktive Kandidaten des Kandidaten-Universums, die im mittleren Teil ihrer Karriere stecken und schon einige Karriereschritte hinter sich haben, besitzen in der Regel einen ungeraden, sehr erklärungsbedürftigen Lebenslauf – und damit eine Gefahr, gleich eine ganze Serie von Problemen, die sie entweder schon bewältigt haben oder ins neue Unternehmen mitzubringen.

Sind die Probleme bewältigt können sie sich als perfekte, erfahrene Kandidaten herausstellen. Ihre Rekrutierung ist durch die Überprüfungsnotwendigkeit deshalb aus Erfahrung problematischer und man ihren eigenen Beitrag zur negativen beruflichen Situation genau prüfen.

Und soviel sind es: Zwischen 20% – 30% der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung sind Semi-Active Kandidaten, je nach Branche und Wirtschaftslage (mehr siehe im Teil 1: Das Kandidaten-Universum hier)

Die 10 Typen der semi-aktiven Kandidaten:

Hier sind 10 Typen semi-aktiver Kandidaten und wie du sie ansprechen kannst, inklusive der sogenannten „Tip-Toer“ – eine spezielle Art von semi-aktiven Kandidaten, die zögerlich und vorsichtig den Jobmarkt sondieren:

1. Der Unzufriedene

Dieser Kandidat ist mit seinem aktuellen Job nicht mehr zufrieden – sei es aufgrund von fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten oder schlechtem Arbeitsklima. Er schaut sich vorsichtig um, ist aber noch nicht bereit, den ersten Schritt zu machen.

Profilanalyse-Tipp: Achte auf sporadische Updates im Profil, wie kleinere Veränderungen bei den Fähigkeiten oder eine leichte Aktivitätserhöhung. Oft gibt es auch Änderungen im Profilfoto oder neue Empfehlungen.

Ansprache-Tipp: Biete Perspektiven für persönliches Wachstum und ein besseres Arbeitsumfeld an. Zeige, wie du ihn aus seiner aktuellen Lage befreien kannst.

2. Der Karriereneugierige

Er fühlt sich in seiner aktuellen Position sicher, aber er fragt sich, ob es nicht etwas Besseres da draußen gibt. Dieser Typ schaut sich immer wieder neue Optionen an, aber ohne Dringlichkeit.

Profilanalyse-Tipp: Schau nach, ob der Kandidat neue Kontakte zu Recruitern oder Headhuntern knüpft oder plötzlich in karrierebezogenen Gruppen aktiver wird. Er könnte zudem nach Weiterbildungsmöglichkeiten suchen und diese in seinem Profil ergänzen.

Ansprache-Tipp: Präsentiere spannende Projekte und Entwicklungsmöglichkeiten, die ihn aus seiner Komfortzone locken könnten.

3. Der Opportunist

Dieser Kandidat ist nicht aktiv auf Jobsuche, aber immer offen für außergewöhnliche Chancen. Wenn das richtige Angebot kommt, könnte er sich durchaus bewegen.

Profilanalyse-Tipp: Dieser Kandidat aktualisiert selten, hat aber vielleicht hin und wieder Interesse an neuen Projekten oder Zertifikaten. Wenn du siehst, dass er hin und wieder auf branchenbezogene Artikel reagiert, könnte das ein Indiz für seine offene Haltung sein.

Ansprache-Tipp: Biete ihm eine Rolle, die er nicht ablehnen kann – mit klaren Vorteilen gegenüber seiner aktuellen Situation.

4. Der Wechselbereite

Der Kandidat ist mental bereit für einen Wechsel, wartet aber auf das perfekte Timing oder den letzten Impuls, um den Schritt zu wagen.

Profilanalyse-Tipp: Achte auf plötzliche, größere Profilupdates, wie die Überarbeitung des Lebenslaufs oder das Hinzufügen neuer Projekte. Der Wechselbereite bereitet sich oft unauffällig auf einen Wechsel vor, indem er sein Profil still „poliert“.

Ansprache-Tipp: Zeige ihm, dass jetzt der richtige Moment für einen Wechsel ist, indem du aktuelle Vorteile und Zukunftsperspektiven aufzeigst.

5. Der Karrieresprung-Sucher

Dieser Typ will weiterkommen, aber nur, wenn es einen signifikanten Karrieresprung gibt. Er wartet auf eine Gelegenheit, die ihm mehr Verantwortung oder eine bessere Position bietet.

Profilanalyse-Tipp: Schau nach, ob der Kandidat aktiv hochkarätige Kontakte hinzufügt oder sich in Netzwerken für Führungskräfte engagiert. Neue Aktivitäten in diesen Gruppen oder ein Fokus auf Leadership-Themen können Anzeichen sein.

Ansprache-Tipp: Biete ihm eine Stelle mit klaren Entwicklungsperspektiven und Möglichkeiten, sich innerhalb des Unternehmens weiterzuentwickeln.

6. Der Sicherheitsbedachte

Er hat Angst vor Veränderungen, möchte aber trotzdem aus seiner aktuellen Position raus. Der Sicherheitsbedachte wägt Risiken sehr genau ab und zögert, einen Wechsel zu vollziehen.

Profilanalyse-Tipp: Der Sicherheitsbedachte zeigt meist keine auffälligen Veränderungen, doch er könnte seine Fähigkeiten diskret erweitern, indem er z.B. an Zertifikaten arbeitet oder Kurse absolviert, die im Profil aufpoppen.

Ansprache-Tipp: Stelle die Stabilität deines Unternehmens und die langfristigen Karriereperspektiven in den Vordergrund.

7. Der Kompromiss-Bereite

Dieser Kandidat würde sich mit einer kleinen Verbesserung zufriedengeben. Ein Job, der ihm ein bisschen mehr Gehalt oder Flexibilität bietet, wäre für ihn attraktiv genug, um zu wechseln.

Profilanalyse-Tipp: Achte auf kleinere Profilveränderungen, wie das Hinzufügen von Soft Skills oder leicht erweiterte Jobbeschreibungen. Der Kompromiss-Bereite bereitet sich still darauf vor, eventuell auf ein besseres Angebot zu reagieren.

Ansprache-Tipp: Hebe die kleineren, aber wichtigen Vorteile deines Unternehmens hervor – wie Work-Life-Balance, Gehaltserhöhungen oder bessere Benefits.

8. Der Netzwerkaktive

Er ist gut vernetzt und aktiv in beruflichen Netzwerken unterwegs, um seine Karriereoptionen offen zu halten. Obwohl er noch nicht aktiv nach einem Job sucht, prüft er neue Gelegenheiten über seine Kontakte.

Profilanalyse-Tipp: Dieser Kandidat hat oft viele neue Kontakte in kurzen Abständen. Wenn du siehst, dass er in beruflichen Netzwerken wie LinkedIn regelmäßig interagiert oder Konferenzen besucht, ist das ein starkes Zeichen, dass er offen ist.

Ansprache-Tipp: Nutze gemeinsame Netzwerke oder Plattformen wie LinkedIn, um auf natürliche Weise in den Dialog zu kommen.

9. Der Loyalitäts-Zögerliche

Dieser Kandidat fühlt sich seinem aktuellen Arbeitgeber loyal verbunden, hat aber dennoch das Gefühl, dass er mehr verdienen oder mehr erreichen könnte. Er zögert, aber schaut sich um, wenn es wirklich passt.

Profilanalyse-Tipp: Loyalitäts-Zögerliche Kandidaten posten oft Inhalte über ihren Arbeitgeber, könnten aber gleichzeitig in ihrem Profil subtile Anzeichen für Unzufriedenheit zeigen, z.B. durch fehlende neue Erfolge oder das Hinzufügen von neuen Fähigkeiten, die auf einen Ausweg hinweisen.

Ansprache-Tipp: Biete ihm ein Angebot, das seine Loyalität belohnt, und zeige ihm, dass er bei dir bessere Chancen hat, ohne seine Werte zu opfern.

10. Der „Tip-Toer“

Dieser Kandidat „tapst“ vorsichtig in den Jobmarkt hinein – er schaut sich um, ohne dass jemand davon erfahren soll, und er will alle Risiken minimieren. Oft überprüft er Stellenanzeigen und informiert sich über potenzielle Arbeitgeber, ohne sich sofort aktiv zu bewerben.

Profilanalyse-Tipp: Dieser Kandidat aktualisiert sein Profil kaum sichtbar, könnte aber langsam seine Fähigkeiten und Erfahrungen erweitern, ohne sofort offensichtlich nach einem Job zu suchen. Schau nach kleinen, unauffälligen Änderungen wie das Hinzufügen von Skills oder das regelmäßige Kommentieren von Job-Posts.

Ansprache-Tipp: Kontaktiere ihn diskret und unverbindlich, ohne Druck aufzubauen. Gib ihm das Gefühl, dass er sicher in den Prozess einsteigen kann, ohne sofortige Entscheidungen treffen zu müssen. Vertrauen und Vertraulichkeit sind hier entscheidend.

Wie findet man sie?

Diese Kandidaten sind meist leichter zu finden (da sie ja auch gefunden werden wollen) und damit ‚verfügbarer‘ – also auch über Stellenausschreibungen, Karrieremessen, Lebenslauf-Datenbanken, soziale Netzwerke und sehr häufig in Personalvermittlungen bzw. über Personalleasingunternehmen. Umfassende Dienstleistungen Executive Search sind nur in Ausnahmefällen notwendig, um diese Kandidaten zu kontaktieren.

Die Problematik der semi-aktiven Kandidaten

Die Gefahr bei semi-aktiven Kandidaten ist, dass sie möglicherweise einfach nicht wissen, was sie genau wollen und schwanken. Sie haben  Wechselbedingungen im Kopf, aber es kann sein, dass sie sich darüber nicht ganz klar sind. Oder sie sind (etwas oder augenblicklich) unglücklich bzw. sie fühlen sich gerade nicht so wohl in ihrer aktuellen Aufgabenstellung – was sich aber im nächsten Augenblick wieder ändern kann.  

Fazit:

Jeder Typ semi-aktiver Kandidaten zeigt bestimmte Verhaltensmuster und subtile Anzeichen in seinem Profil. Indem du diese Muster erkennst und richtig deutest, kannst du gezielt auf die Bedürfnisse und Motivationen dieser Kandidaten eingehen. Profilanalysen helfen dir dabei, die Absichten eines Kandidaten frühzeitig zu erkennen und die passende Ansprache zu wählen.

Semi-aktive Kandidaten sind eine spannende und vielseitige Gruppe im Kandidaten-Universum. Sie benötigen Feingefühl und eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Ansprache. Wenn du verstehst, welcher Typ Kandidat vor dir steht, kannst du gezielter und effektiver kommunizieren und ihn für dein Unternehmen gewinnen. Besonders die „Tip-Toer“ solltest du vorsichtig ansprechen – biete ihnen genügend Raum und Zeit, um die Entscheidung zum Wechsel zu treffen, während du ihnen Sicherheit und Diskretion gewährleistest.

HAPPY RECRUITING!

Mehr Erklärungen zu den unterschiedlichen Kandidatengruppen:

1. Aktive, passive und semi-aktive Kandidaten verstehen – Teil 1
2. Aktive Kandidaten und Bewerber verstehen- TEIL 2
3. Die 10 Typen der semi-aktive Kandidaten verstehen – Teil 3
4. Wie erreiche ich passive Kandidaten [Infographic] – TEIL 4
5. Super-Passive Kandidaten – wie du sie (vielleicht) gewinnen kannst – Teil 5
6. „Passiv jobsuchend“ – Warum dieser Begriff irreführend ist und dem Recruiting schadet – Teil 6

    Hat Ihnen dieser Blogbeitrag gefallen?
    Hier können Sie sich in die Liste für Blogupdates eintragen:

    Mit dem Absenden des Kontaktformulars erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihre Daten zur Bearbeitung Ihres Anliegens verwendet werden (Weitere Informationen und Widerrufshinweise finden Sie in der Datenschutzerklärung).

    Be Social - Bitte teilen Sie diesen Beitrag mit Ihrem Netzwerk!

    Author

    • Sie ist pragmatische Talentfinderin, Expertin im ‚Finden‘ talentierter Mitarbeiter, Social Recruiting Coach, Master-Sourcerin, Trainerin und Autorin des Besteller-Kompendiums “Praxiswissen Talent Sourcing” sowie Co-Autorin des Bestellerbuches ‘Praxishandbuch Social Media Recruiting’. Nach einem BWL-Studium in Deutschland und Großbritannien, langjähriger Erfahrung als Personalmanagerin in renommierten Qualitätsunternehmen der Industrie und als Partnerin bei Top-10-Personalberatungen gründete sie 2005 die Intercessio GmbH. Ihr Motto: In Dir muss brennen, was Du in anderen entfachen willst – Augustinus

      View all posts