Eines der größten aktuellen HR-Missverständnisse in der Digitalisierung ist: ‘Active Sourcing ist ein ins Web verlagertes Kandidaten searchen’. Warum? Searching ist ein anderer Prozess als Active Sourcing und obendrein hat es ein anderes Ziel. Basis dieses Missverständnisses ist nicht nur der ähnliche Wortlaut von Searching und Sourcing, sondern die falsche Vorstellungen, was Online-Recuiting im ‘Social’ Web bedeutet. Es beginnt mit dem Wort ‘Social’. Es ist nicht mit dem deutschen ‘sozial’ übersetzbar und meint mehr ‘gesellig’.

Social beschreibt die Wertetransformation der Digitalisierung der gesamten Welt, die sich auch im Social Recruiting Prozess wiederfindet – und Active Sourcing ist ein Teilbereich des Social Recruitings. Dem Vorgehen des Active Sourcings liegt somit ein anderes Wertebild zugrunde als dem (Re-)Searching. Das Denken des Searching oder Direct Searchs kommt aus bisherigen Suchverfahren mit dem Hauptmedium Telefon. Im Searching mogelt man sich per Telefonate durch die Organisationen und sammelt ‘Hörensagen-Wissen’ ein. Der (Re-)Searcher interpretiert komprimiert ableitend einen Ist-Zustand, den ein anderer beurteilt hat.

Was genau ist im (Active) Sourcing anders?

Aber der Reihe nach: Active Sourcing hat das Ziel, die wenigen, wirklich passenden Kontakte und deren passenden Eigenschaften zu FINDEN und sie als Kandidaten zu gewinnen. Damit ist schon der Ansatz anders, nicht einfach nur eine Istanalyse, sondern die gefunden Daten werden zur Zukunftsprognose eingesetzt. Ein Master-Sourcer macht – nach einer intensiven Vorbereitung auf Basis PREDITIVER Datenanalysenur den passenden, möglichen Talenten ein wertschätzendes, also persönliches Angebot. Als Sourcer geht er nicht per se davon aus, dass alles was er findet automatisch bereits ein Kandidat oder gar schon ein Bewerber ist. Der Master-Sourcer ist ein Daten-Analyst, der anhand bestimmter Daten-Kompositionen die Chancen positiver Reaktionen erkennen kann. Der Sourcer ‘liest’ und interpretiert Profile bereits mit den Augen der eingesetzten Suchmaschinen. Er sucht anders, findet anders und kontaktiert anders. Er spart Ressourcen, Zeit, Aufwand und damit Kosten.

Master Sourcer sind gleichzeitig auch Top Social Recruiter. Sie haben immer das Ziel zu netzwerken und sehen keinesfalls nur die ad-hoc Stellenbesetzung. Sie denken nicht in Listen, nicht in Datenbanken, sie denken in Individuen und langfristig. Was nicht heißt, dass sie auch just-in-time Lösungen angestreben und effizient bewältigen können. Im Gegenteil – als Talentmanager minimieren sie den Aufwand und bauen als Beziehungsmanager ihren Talentpool und -netzwerk so aus, dass sie immer einen kennen, der einen kennt – und pflegen ihren übervollen Talentpool geschickt und einfallsreich. Und was ist effizienter als ein gut gepflegter Talentpool? Dies alles ist erst durch den intelligenten, professionellen Einsatz von Web-Tools und von Active Sourcing Methoden möglich.

Wie bitte, das Web ist keine kostenlose World Wide Datenbank?

Um auf die Argumentation oben zurückzukommen: Wir sprechen vom Social Web, betont ‘SOCIAL’. Es geht beim heutigen Web (wir befinden uns nicht mehr im Internet) nicht um Daten, sondern um die Kommunikation zwischen Menschen. Persönliche Daten sind die digitalen Abbilder oder auch “Digitalen Zwillinge” von realen Personen und diese haben die gleiche Wertschätzung verdient wie die Person selbst. Deshalb ist es ein Unterschied, ob ich diese Daten lese, interpretiere, herausschreibe, aggregiere oder sogar herunterkopiere. Ethisch wie rechtlich hinkt unser Gesellschaftssystem diesen Stufen komplett hinterher.

Im Jahr 2000 hatten wir diese Situation analog: Vertriebsmannschaften wurden mit Handys ausgestattet und diese neuen Karriere-Insignien prangten listenweise auf den Websites (und Regeln gab es noch keine). Profi Personalberater warnten laut, aber Researcher waren in einer Goldrauschstimmung – und telefonierten diese Nummern aus dem Web im Minutentakt ab. Bis ein stark expandierendes Unternehmen (Bechtle) klagte. Dieses bahnbrechende Urteil machte Schluss mit den keinesfalls lustigen Telefonstackatos und ist heute noch die Grundlage, warum kein Kontakt mehr länger als einmal maximal 3 Minuten pro Tag angerufen werden darf.

Paradigmenwechsel im Recruiting und HR

Vorurteile über SourcingWeb Searching verfolgt in erster Linie quantitative Ziele, idealerweise sogar möglichst viele Kandidaten. Auf dieses (massenweise) ‚Finden‘ im Internet MUSS dann aus Sicht der Old-School Recruiter das Herzstück des Recruitings folgen:

die SELEKTION (das qualitative Ziel) –

und die geht nach der Wertewelt und dem Bild des klassichen Recruiters nur persönlich. Weil das immer schon so war. Und ‘Listenabarbeiten’ dem Verwaltungsgedanken des administrativen Old-School-Recruitings so hervorragend entspricht.

Dahinter stecken zwei grundsätzliche Fehlannahmen. Die erste ist, dass Algorithmen das nicht/nie können (werden). Diese Behauptung ist nur halbrichtig: Das können Algorithmen auch derzeit nicht – ALLEINE. Algorithmen sind nur Maschinen – und haben keine eigene Intelligenz.

Algorithmen sind keine selbstdenkenden Roboter – der Begriff ‘Roboter-Recruiting’ ist schlichtweg falsch!

Suchmaschinen denken, egal wie gut sie programmiert sind, nicht mit und sind nur so gut wie ihre Bediener /User. Deshalb muss ein Profi-Sourcer nach wie vor einen fundierten Recruiting Hintergrund haben – aber er muss lernen, wie man Suchmaschinen steuert. Sourcing ist also im Grunde Suchmaschinen-Recruiting – mit einem anderen Mindset und Prozess.

Die zweite Fehlannahme  ist ein menschliches Rechtfertigen. Es geht (auch) um fehlende Vorstellungskraft, Lebensstolz, Bequemlichkeit und Nicht-Loslassen-Wollen /-Können und bei Personaldienstleistern, Personalberatungen und Personalvermittlungen einfach um Profit damit oft nur vordergründig um die (Inhouse-) Kunden- | Kandidateninteresse. Denn dafür ist oft gar keine Zeit mehr.

Henne oder Ei?

Die Konsequenz ist im Recruiting eine Dumpinghölle. Die Schere zwischen der nach außen manifestierten Mitarbeiterwertschätzung und dem tatsächlichen Verhalten der Recruiter bzw. Unternehmensleitungen, die ihren Recruitern Handschellen anlegen, geht immer weiter auseinander. Ein erste Rate an eine Personalberatung, wer zahlt diese heute noch? Am Kostendruck dieser ‘Geiz-ist-geil-Policy’ in der alle stecken, sind also nicht die Personaldienstleister alleine schuld. Sie müssen teilweise Massennachrichten schreiben und Lebensläufe im Schrotflintenprinzip verteilen, um zu überleben. Es sind folglich auch die beauftragenden Recruiter und deren Wertebild an dieser Misere mindestens genauso verantwortlich.

Aber der nachfolgende Gedankengang soll zur Diskussion anregen:

Warum sollen linienverantwortliche Personaler eigentlich Personaldienstleister für das Searching, sprich ‘deren aufwendige Rundreise im #Neuland’ bezahlen, wenn echte Sourcer mit modernen Methoden in ein paar Stunden gezielt, schnell, wertschätzend Kandidaten finden und erfolgreich kontaktieren können? Und damit sicherstellen, dass die mühevoll aufgebaute Employer Brand und wertvolle Reputation ihres Auftraggebers geschützt bleibt?

 

Fazit:

Wenn schon wertschätzendes Recruiting geht nicht per Autopilot, dann noch viel weniger Active Sourcing. Denn eine Maschine ist nur so gut wie der Bediener – und Suchmaschinen sind einfach nur Maschinen. Allerdings sehr komplizierte. Das ist wie der Unterschied zum Formel I Rennen und der Autofahrt zum Restaurant: Wer eine Suchmaschine benützt um ein Restaurant zu finden, der muss unterschiedliches Knowhow besitzen als der jenige, der Talent im War for Talent für sich finden und gewinnen will.

Überarbeitete Präsentation des Webinars 2013

Wenn schon wertschätzendes Recruiting geht nicht per Autopilot, dann noch viel weniger Active Sourcing. Denn eine Maschine ist nur so gut wie der Bediener – und Suchmaschinen sind einfach nur Maschinen. Allerdings sehr komplizierte. Das ist wie der Unterschied zum Formel I Rennen und der Autofahrt zum Restaurant: Wer eine Suchmaschine benützt um ein Restaurant zu finden, der muss unterschiedliches Knowhow besitzen als der jenige, der Talent im War for Talent für sich finden und gewinnen will.

Happy Sourcing!

 

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    Author

    • Barbara Braehmer

      Sie ist pragmatische Talentfinderin, Expertin im ‚Finden‘ talentierter Mitarbeiter, Social Recruiting Coach, Master-Sourcerin, Trainerin und Autorin des Besteller-Kompendiums “Praxiswissen Talent Sourcing” sowie Co-Autorin des Bestellerbuches ‘Praxishandbuch Social Media Recruiting’. Nach einem BWL-Studium in Deutschland und Großbritannien, langjähriger Erfahrung als Personalmanagerin in renommierten Qualitätsunternehmen der Industrie und als Partnerin bei Top-10-Personalberatungen gründete sie 2005 die Intercessio GmbH. Ihr Motto: In Dir muss brennen, was Du in anderen entfachen willst – Augustinus

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