In der modernen Personalgewinnungs-Welt spielen Sourcing-Strategien eine zentrale Rolle. Unternehmen sind ständig auf der Suche nach den besten Talenten, um ihre Teams zu verstärken und ihre Ziele zu erreichen. Viele sprechen von Active Sourcing, andere von Talent Sourcing und meinen dabei oft sehr unterschiedliche Vorgehensweisen, Ziele und Strategien. Doch was genau bedeuten diese Begriffe in der Praxis und wie unterscheiden sie sich voneinander? In diesem Blogpost werden wir diese beiden Konzepte detailliert gegenüberstellen und die wichtigsten Unterschiede sowie Vor- und Nachteile herausarbeiten.

Geht es im Sourcing immer um die passiven Kandidaten?

Viele im Sourcing möchten auch die “anderen” potentiellen Kandidaten in den Prozess ziehen, die sich nicht beworben haben. Dabei gehen sie den einfachen Weg der Definition, dass alle (Noch-)Nicht-Bewerber sogenannte “Passive Kandidaten ” sind. Das ist Mythos, denn nur 15-20 % der Workforce ist aktiv auf Jobsuche und gleichzeitig wechselbereit – sie machen auch manches Mal einen Sidestep, weil sie einfach weg wollen.

Der Rest, also 80% der Workforce, sind semi-aktiv oder passiv, also weder auf Jobsuche noch wechselbereit. Sie machen keine Sidesteps und sind nur unter bestimmten Umständen, bereit, über einen anderen Job zu sprechen: Und dieser besser für sie sein (Wobei, was besser ist, kann mit Erfahrung bestimmt werden, wenn man die Digital Footprints als Signale liest hier mehr).

Warum Sourcing Projekte nicht gleich sind

Nicht nur Kandidaten sind unterschiedlich: Auch Sourcing Projekte unterscheiden sich. Sie können sehr unterschiedlich aufwendig sein – und unterschiedliche Schweregrade haben. Der Schweregrad ist nur teilweise eine objektive Größe: Denn die Beurteilung bzw. Berechnung des Schweregrads sollte vor allem das Sourcing Team bzw. der Sourcer mit dem Fachbereich durchführen, bevor in die Suche das Sourcing integriert wird. Denn es gibt nicht nur 5 Schweregrade, sondern sogar Projekte, die unsourcebar sind, also mit Sourcing nicht besetzt werden können, z.B. wenn die Zielgruppe nicht (mehr) in Social Media sind oder in Social Media nicht mehr erreichbar ist.

Die 5 Schweregrade von Sourcing Projekten sind:
1. Normale Projekte
2. Advanced Projekte
3. Schwere Projekte
4. Problematische Projekte
5. Komplexe Projekte

Sie unterscheiden sich in den kritischen Kriterien sowie in ihren Limits – um so mehr Limits, mehr kritische Kriterien, umso schwerer das Projekt und umso mehr Zeit braucht man, muss mehr Talente identifizieren und kontaktieren. Da meist mit dem Schweregrad die Antwortrate sinkt, sollte man sehr überlegt vorgehen, wenn man die Stelle wirklich besetzen will.


Der Grundgedanke der Sourcing-Konzepte und ihre Definition

Was ist Active Sourcing?

Active Sourcing bezieht sich auf den Prozess der aktiven Suche nach Kandidaten, die aktuell auf Jobsuche sind. Recruiter und Sourcer nutzen dazu verschiedene Kanäle, wie soziale Netzwerke und Datenbanken, um potenzielle Bewerber zu identifizieren und anzusprechen. Der Fokus liegt auf der schnellen Handlung, weshalb dieser Ansatz in der Praxis oft kurzfristig, ad-hoc und wenig strategisch ist. Viele nennen diese Vorgehensweise auch “Transactional Sourcing”, weil es mehr um die (schnelle) Aktion geht, die sich nur für normale bis schwere Stellen eignet.

Was ist Talent Sourcing?

Talent Sourcing zielt darauf ab, mit einem Fokus und überlegt zu handeln, das heißt mit Strategie, Plan und Operational Excellence soll die Stelle zu besetzen. Zur Operational Excellence Hierbei werden Talente identifiziert, die die gewünschten Fähigkeiten und Eigenschaften besitzen, unabhängig davon, ob sie aktiv auf Jobsuche sind. Dieser Ansatz ist strategisch und systematisch angelegt, mit dem Ziel, eine nachhaltige Beziehung zu potenziellen Kandidaten aufzubauen und in ihm den zukünftigen Kollegen zu sehen, mit dem man länger arbeiten will. Ziel ist damit, ein Beziehungsmanagement mit genau den richtigen Talenten, den sogenannten Best-Fit-Kandidaten aufzubauen.

Die Unterschiede der Sourcing-Konzepte im Detail

1. Zielgruppe und Fokus

Active Sourcing richtet sich primär an Kandidaten, die aktiv auf Jobsuche sind. Der Fokus liegt darauf, offene Positionen schnell zu besetzen. Talent Sourcing hingegen konzentriert sich auf Talente, die langfristig für das Unternehmen von Interesse sein könnten, unabhängig von ihrer aktuellen Jobsituation, ihrem Wechselinteresse oder Status.

2. Zeithorizont und Strategie

Während Active Sourcing kurzfristig und ad hoc erfolgt, ist Talent Sourcing langfristig und strategisch ausgerichtet. Unternehmen planen hier systematisch, um langfristig Beziehungen zu qualifizierten Talenten zu pflegen und einen bzw. einen Pool aufzubauen.

3. Beziehungsaufbau und Kandidatenbindung

Active Sourcing legt wenig Wert auf den langfristigen Beziehungsaufbau, da der Fokus auf der schnellen Besetzung liegt. Talent Sourcing hingegen setzt auf nachhaltige Beziehungen und eine langfristige Kandidatenbindung.

4. Nachhaltigkeit und Pipeline-Management

Die Nachhaltigkeit ist ein zentraler Unterschied: Active Sourcing füllt die Pipeline kurzfristig, während Talent Sourcing darauf abzielt, eine dauerhaft gepflegte und gut gefüllte Pipeline aufzubauen.

5. Technologienutzung und Datenanalyse

Active Sourcing nutzt standardisierte Recruiting-Tools und eher einfachere Methoden und intuitive Vorgehensweisen, während Talent Sourcing fortschrittliche Technologien, an problematischere Situationen angepasste und datengetriebene Methoden einsetzt, um Talente zu identifizieren und langfristig zu binden.

6. Employer Branding und Integration

Der Einfluss auf das Employer Branding ist beim Talent Sourcing deutlich höher, da hier langfristige Beziehungen und strategische Ansätze im Vordergrund stehen. Talent Sourcing ist zudem stark in die Unternehmensstrategie integriert und kann so direkt den Beitrag zum Wertschöpfungsprozess darstellen. Während Active Sourcing sich hier schwer tut.

7. Flexibilität und Struktur

Active Sourcing ist oft intuitiv und damit wenig strukturiert, während Talent Sourcing strukturierter und weniger flexibel ist, da es auf langfristige Planung und systematisches Vorgehen mit Fokus der Zielerreichung setzt.

Die 20 wichtigsten Unterschiede der Sourcing-Konzepte im Überblick

Diese Aufstellung verdeutlicht die wesentlichen Unterschiede zwischen Active Sourcing und Talent Sourcing und unterstreicht die strategische und nachhaltige Natur des Talent Sourcings im Vergleich zum kurzfristigen und weniger strategischen Active Sourcing.

KRITERIUM ACTIVE SOURCING TALENT SOURCING
1 Fokus Kandidaten Talente
2 Zielgruppe  Kandidaten, die aktiv auf Jobsuche und wechselbereit sind, seltener semi-aktive Kandidaten, die latent suchen (enger Scope). Alle Talente: Sowohl aktive und semi-aktive wie auch passive Talente, die aktuell nicht wechselbereit bzw. auf Jobsuche sind (breiter Scope)
3 Zeithorizont schnell, eher kurzfristig mittel- bis langfristig
4 Strategie und Umsetzung Wenig effektiv, da ad hoc, spontan und intuitiv und nicht zielorientiert oder datenbasiert, Fachbereichs- und/oder Eigeninteressen stehen im Mittelpunkt (Transactional Sourcing)
Maximum: Grob-Planung (ohne Strategie) und gewisse Ausrichtung  = dennoch eher zufällig.
Talentzentrierte Operational Excellence: Strategisch und systematisch, planbar mit großen Lerneffekten und Service-Orientierung: Stellt Fachbereichs-, Unternehmensinteressen und Talente ins Zentrum des Geschehens und sucht Ausgleich.
Maximum: Bis zu 80 % Skaleneffekte
5 Endziel (Purpose) Prospekts bzw. Kandidaten für
Interviews generieren
Besetzung offener Stellen mit den passenden Talenten und Aufbau von Talentpools
6 Beziehungsaufbau
und -management
Contacting – oberflächlich – meist einmalig
und nur direkt
Beziehungsmanagement mit Tiefgang – sowohl bei der Kontaktaufnahme wie auch in der Betreuung und danach – auch mit Unterstützung von Tools
7 Nachhaltigkeit Gering Hoch
8 Schweregrad Projekte Stufe 1 (normal) bis Stufe 2 (advanced) Stufe 3 (schwer), Stufe 4 (problematisch)
bis Stufe 5 (komplex)
9 Zeitaufwand pro Kandidat Niedrig bis normal Hoch bis intensiv
10 Pipeline Kurzfristig und punktuelle Kontakte, keine Pipeline Gepflegte Talent Pipelines oder sogar nachhaltige Talent Pools
11 Technologienutzung Hacks und Taktiken statt Methodik, mit hoher Experimentierfreudigkeit – deshalb hohe Abhängigkeit von Tools und Plattformen (Application Dependency), Konsequenz: Erfolg, ist eher zufällig, da kaum planbare Prozesse.  Fortschrittliche Technologien und Methoden, angewendete operative Excellence mit Prozess-Systematik und klaren SOPs (Standard Operating Procedures), Tools als Assistenten = Ziel ist geringe Abhängigkeit von Tools und Plattformen.
12 Integration ins Unternehmen Selten umfassend integriert, eher spontan und an Eigeninteressen bzw. Fachbereichs-Interessen ausgerichtet. Strategische Ausrichtung an und starke Integration in die Unternehmensstrategie und somit Fokus auf Werte und Cultural Fit
13 Employer Branding Geringer Fokus Starker Fokus
14 Datenanalyse Wenig datengetrieben, wenn kurzfristige KPIs, starr ohne Learnings, oft ohne Konsequenzen. Stark datengetrieben, analytisches System, Agilität, ständige Reviews mit Root Cause Analysis.
15 Effizienz Kaum Effizienz= wenig Struktur, spontan, aufwendig, nur wenig Verbesserungseffekte Hohe Effizienz, ressourcenschonend= strukturiert, systematisch mit Continuous Improvement Process.
16 Legalität, Datenschutz und
moralischer Kompass
Aufgrund Spontanität, Kurzfristigkeit und Tool-Verliebtheit aka -Abhängigkeit, Neigung dazu, gesetzliche Grundlagen und Moral im Tun und der Wahl der Toolanbietern zu ignorieren. Aufgrund von Systematik, Unabhängigkeit von Toolanbietern und dem Fokus auf Operational Excellence bedeutet dies bei wertebasierten Entscheidungen und Handlungen eine hohe Compliance zu Recht und Moral.
17 Skalierung Wenige Skaleneffekte möglich, da kaum Lerneffekte Hohe Lerneffekte durch hohe Effizienz = Skaleneffekte teils bis zu 80 % (Best Practices)
18 Risikomanagement Höheres Risiko durch kurzfristige und Ad-hoc Maßnahmen, Fehlerwiederholung,  Niedrigeres Risiko durch Systematik in Strategie, Planung und operativer Exzellenz sowie datengetriebene Entscheidungen und Learnings
19 Cultural Fit Geringer Fokus auf Cultural Fit Starker Fokus auf Cultural Fit
20 Kommunikation Direkt und oft einmalig (gern teil-) automatisiert, deshalb auch wenig personalisiert (was teils bei aktiven Kandidaten sehr positiv gesehen wird!)  = ungeeignet für passive Kandidaten Regelmäßig und kontinuierlich , personalisierte Ansprache  = gut für passive Talente. (Gefahr zu stark zu individualisieren und damit die aktiven Kandidaten zu überfordern und zu verlieren.)

 

Vor- und Nachteile der beiden Ansätze

1. Vorteile des Active Sourcings

  • Bei einfachen und normalen Funktionen: Schnellere Generierung von Kandidaten für Interviews
  • Leichter für Anfänger durchzuführen
  • Art der Ansprache wird von vielen aktiven Kandidaten als positiv empfunden

2. Nachteile des Active Sourcings

  • Untauglich ab Projekt Schweregrad Stufe 3, also schweren, problematischen und komplexen Funktionen
  • Durch Spontanität und fehlende operativer Exzellenz und häufig auch bei normalen Projekten keine Besetzung
  • Hoher Konkurrenzdruck und damit Leistungsdruck auf Sourcer

3. Vorteile des Talent Sourcings

  • Möglichkeit, auch passive Talente zu engagieren, in den Prozess zu ziehen und sie zu überzeugen.
  • Starke Kandidatenbindung und Beziehungsaufbau und Talent Pipelines bzw. Pools
  • Positive Auswirkungen auf das Employer Branding

4. Nachteile des Talent Sourcings

  • Höherer Zeit- und Ressourcenaufwand, deshalb problematisch für Projekte unter hohem Zeitdruck
  • Verpasst oft die aktiven Kandidaten, da es zu kompliziert vorgeht.
  • Solange noch kein System installiert ist: Längere Vorlaufzeiten bis zur Besetzung

Wann welcher Ansatz sinnvoll ist

Situative Analyse: Wann ist Active Sourcing sinnvoll(er)?

Active Sourcing ist besonders effektiv, wenn es darum geht, kurzfristig einzelne offene Positionen zu besetzen oder bei dringendem Personalbedarf. Es eignet sich auch für temporäre Projekte oder saisonale Schwankungen, jedoch ist es dringend zu empfehlen hier weniger intuitiv und mehr systematisch vorzugehen, sobald die Situation schwieriger wird (wie z.B. bei höherem Wettbewerb und/oder wenn ein vergleichsweise geringes Gehalt bezahlt werden kann). Mit jedem weiteren Schwierigkeitspunkt sinkt die Chance, mit Intuition die Stelle zu besetzen und dann hilft nur noch strategisch, systematisches Vorgehen.

Situative Analyse: Wann ist Talent Sourcing sinnvoll(er)?

Talent Sourcing ist ideal für Unternehmen und Sourcer, die mittel-bis langfristig mit Strategie arbeiten und ihre Vorgehensweisen planen. Es eignet sich besonders für Schlüsselpositionen oder Branchen mit hohem Wettbewerb um Talente, sowie für High Volume Projekte. Auch für das Employer Branding und die langfristige Positionierung als attraktiver Arbeitgeber ist Talent Sourcing von Vorteil. Jedoch ist es bei normalen Projekten oder unter Zeitdruck empfehlenswert, die Einzelschritte zu verkürzen und den Prozess zu vereinfachen, um schneller zum Ziel zu kommen und auch die aktiven Kandidaten einzubeziehen.

Fazit: Best Practices für die Implementierung beider Ansätze

Die Kombination von Active und Talent Sourcing kann Unternehmen helfen, sowohl kurzfristige als auch langfristige Rekrutierungsziele zu erreichen.

Durch die flexible Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse und den Schweregrad der Projekte kann die Effektivität der Personalgewinnungs-Strategie maximiert werden.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung und den sich wandelnden Arbeitsmärkten werden sowohl Active als auch Talent Sourcing an Bedeutung gewinnen. Unternehmen sollten sich kontinuierlich weiterentwickeln und ihre Strategien anpassen, um im Wettbewerb um die besten Talente erfolgreich zu sein.

Unternehmen sollten beide Ansätze in ihre Personalgewinnungs-Strategie integrieren, um flexibel auf unterschiedliche Bedürfnisse reagieren zu können. Der Einsatz moderner Technologien und datengetriebener Methoden kann dabei unterstützen, die Effektivität beider Ansätze zu maximieren.

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    Author

    • Sie ist pragmatische Talentfinderin, Expertin im ‚Finden‘ talentierter Mitarbeiter, Social Recruiting Coach, Master-Sourcerin, Trainerin und Autorin des Besteller-Kompendiums “Praxiswissen Talent Sourcing” sowie Co-Autorin des Bestellerbuches ‘Praxishandbuch Social Media Recruiting’. Nach einem BWL-Studium in Deutschland und Großbritannien, langjähriger Erfahrung als Personalmanagerin in renommierten Qualitätsunternehmen der Industrie und als Partnerin bei Top-10-Personalberatungen gründete sie 2005 die Intercessio GmbH. Ihr Motto: In Dir muss brennen, was Du in anderen entfachen willst – Augustinus

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