Der Begriff „passiv jobsuchend“ taucht immer wieder im Recruiting auf und sorgt für viel Verwirrung. Viele Recruiter und Sourcer verwenden ihn, um Menschen zu beschreiben, die nicht aktiv auf Jobsuche sind, aber potenziell an neuen Möglichkeiten interessiert sein könnten. Doch ist diese Bezeichnung wirklich zutreffend? In meinen Augen nicht. Passiv jobsuchend ist irreführend und führt zu Missverständnissen, die den Recruiting-Prozess eher behindern als fördern. In diesem Blogpost zeige ich, warum diese Terminologie problematisch ist und was wir stattdessen tun sollten.
Inhaltsverzeichnis
- Warum „passiv jobsuchend“ keinen Sinn macht (und ein Oxymoron ist).
- Die Realität: Es gibt nur „aktive“, „semi-aktive“ und „passive“ Kandidaten im Recruiting
- Mehr Erklärungen zu den unterschiedlichen Kandidatengruppen:
- 5 Gründe, warum der Begriff „passiv jobsuchend“ dem Recruiting schadet
- 1. Falsche Ansprache – Die Verwirrung der „Tip-Toers“
- 2. Unehrliche Kommunikation
- 3. Förderung von Spam
- 4. Fehlendes Verständnis für Kandidaten
- 5. Mangelnde Wertschätzung
- So kannst deine Kandidaten besser adressieren:
- Fazit: Wie eine wertschätzende Ansprache das Recruiting und Sourcing verbessern kann
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Warum „passiv jobsuchend“ keinen Sinn macht (und ein Oxymoron ist).
Der Begriff „passiv jobsuchend“ ist aus meiner Sicht ein klassisches Oxymoron (hier mehr bei Scribbr) – also eine rhetorische Finte, die Gegensätze kombiniert, um eine falsche Wirkung zu erzielen.
Fakt ist: Jemand kann entweder aktiv auf Jobsuche sein oder eben nicht – er bzw. sie kann passiv sein oder suchen (= aktiv), aber nicht beides gleichzeitig. Es ergibt keinen Sinn. Es ist, wie Shakespeare bereits sagte, “einfach viel Lärm um nichts” – nur um Aufmerksamkeit zu erzielen.
Vergleichen wir das mit Begriffen wie “Hassliebe”, „virtuelle Realität“ oder „Flüssiggas“. In beiden Fällen sprechen wir von etwas, das widersprüchlich klingt. Realität kann nicht virtuell sein – sie ist entweder real oder nicht. Und Gas ist per Definition nicht flüssig. Solche Begriffe werden oft verwendet, um Dinge größer und beeindruckender erscheinen zu lassen, als sie sind.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „passiv jobsuchend“. Er erzeugt eine aufbauschende Schein-Wirkung, die uns glauben lässt, es gäbe eine verborgene Gruppe von Kandidaten, die heimlich auf Jobangebote wartet.
Warum verwenden Menschen solche Begriffe, obwohl sie wissen, dass sie widersprüchlich sind? Oft geschieht das, um das eigene Angebot interessanter und weitreichender erscheinen zu lassen. Im Fall von „passiv jobsuchend“ kann es den Eindruck erwecken, dass Recruiter Zugriff auf eine Art unsichtbare Talent-Pipeline haben, in der jeder bereit ist, bei der richtigen Gelegenheit zuzuschlagen. Doch die Wahrheit sieht anders aus.
Die Realität: Es gibt nur „aktive“, „semi-aktive“ und „passive“ Kandidaten im Recruiting
Im Recruiting sprechen wir häufig von verschiedenen Kandidatentypen (mehr hier: Kandidaten verstehen – das Kandidaten-Universum)
- Aktive Kandidaten sind diejenigen, die aktiv nach neuen Jobmöglichkeiten suchen, Jobbörsen durchstöbern, Bewerbungen schreiben und bereit sind, ihren nächsten Karriereschritt zu gehen.
- Semi-aktive Kandidaten hingegen – können sogenannten „Tip-Toers“ sein und – schauen vielleicht gelegentlich nach neuen Stellen oder lassen sich bei besonders interessanten Angeboten inspirieren, ohne jedoch aktiv auf der Suche zu sein (latent-suchend). Sie sind neugierig, aber nicht zwingend wechselbereit.
- Passiv nennt man Kandidaten, die aktuell keinerlei Interesse haben, ihren Job zu wechseln. Sie sind zufrieden und selbst ein attraktives Angebot wird sie nicht zwingend dazu bringen, sich zu bewerben.
Viele im Recruiting sprechen dennoch von „passiv jobsuchenden“ Kandidaten, als ob es eine verborgene Gruppe von Menschen gäbe, die nur darauf wartet, dass das perfekte Angebot ins Haus flattert. Aber wie sinnvoll ist es, jemanden als „passiv suchend“ zu bezeichnen, wenn diese Person nicht aktiv nach einem Job sucht? Genau hier beginnen die Missverständnisse.
Mehr Erklärungen zu den unterschiedlichen Kandidatengruppen:
1. Aktive, passive und semi-aktive Kandidaten verstehen – Teil 1
2. Aktive Kandidaten und Bewerber verstehen- TEIL 2
3. Die 10 Typen der semi-aktive Kandidaten verstehen – Teil 3
4. Wie erreiche ich passive Kandidaten [Infographic] – TEIL 4
5. Super-Passive Kandidaten – wie du sie (vielleicht) gewinnen kannst – Teil 5
5 Gründe, warum der Begriff „passiv jobsuchend“ dem Recruiting schadet
Dieser Mythos der „passiven Jobsuchenden“ führt nicht nur zu falschen Kontaktversuchen, sondern beeinträchtigt auch die Qualität der Kommunikation. Hier sind 5 Gründe, warum dieser Begriff problematisch ist:
1. Falsche Ansprache – Die Verwirrung der „Tip-Toers“
Es gibt Menschen, die gelegentlich auf LinkedIn oder Jobportalen vorbeischauen, ohne wirklich auf Jobsuche zu sein. Diese sogenannten „Tip-Toers“ werfen nur mal einen Blick auf das Angebot, haben aber kein konkretes Wechselinteresse. Wenn wir sie wie aktive Kandidaten ansprechen, geht die Ansprache ins Leere. Das führt nicht nur zu Frustration bei den Kandidaten, sondern auch zu Missverständnissen seitens der Recruiter.
2. Unehrliche Kommunikation
Der Begriff „passiv jobsuchend“ suggeriert, dass es ein verborgenes Interesse gibt, das nur darauf wartet, aktiviert zu werden.
Doch in den meisten Fällen ist das schlichtweg nicht wahr: Kandidaten, die nicht aktiv suchen, haben häufig auch kein Interesse, ihren Job zu wechseln.
Eine offene und ehrliche Kommunikation, die den Status des Kandidaten respektiert, wäre hier der bessere Weg. Wenn wir von Anfang an ehrlich sind, schaffen wir Vertrauen und legen den Grundstein für zukünftige, wertvolle Kontakte.
3. Förderung von Spam
Durch die Annahme, dass jeder, der ein berufliches Netzwerk wie LinkedIn nutzt, potenziell „passiv jobsuchend“ ist, wird die Tür für massenhafte und ungezielte Nachrichten geöffnet.
Diese Art der Kommunikation wird schnell als Spam wahrgenommen, vor allem, wenn sie keinerlei Relevanz für die aktuelle Lebenssituation der angesprochenen Person hat.
Letztlich schadet dies nicht nur dem Ruf des Recruiters, sondern auch der Wahrnehmung des gesamten Unternehmens und damit der Employer Brand (der eigenen oder der des Kunden).
4. Fehlendes Verständnis für Kandidaten
„Passiv jobsuchend“ zu sein, wird oft als Übergangsphase zwischen aktiv und inaktiv betrachtet, aber es wird übersehen, dass Menschen in diesem Status sehr unterschiedliche Motivationen und Situationen haben. Tip-Toers oder Latent-suchende zeigen vielleicht Neugier, aber das heißt nicht, dass sie ernsthaft einen Jobwechsel in Betracht ziehen.
Indem wir sie als „passiv jobsuchend“ bezeichnen, verkennen wir die individuellen Bedürfnisse und Anreize, die sie wirklich antreiben.
5. Mangelnde Wertschätzung
Respekt und Wertschätzung im Recruiting bedeuten, den Kandidaten als Individuum zu sehen und seine aktuellen Prioritäten zu achten.
Jemanden als „passiv jobsuchend“ zu bezeichnen (und so zu behandeln), ohne Rücksicht auf seinen tatsächlichen Status, kann als respektlos empfunden werden.
Es ist viel wertschätzender, ehrlich zu sein und die richtige Ansprache zu wählen: „Ich lese aus deinem Profil, dass du wahrscheinlich aktuell nicht aktiv jobsuchend bist. Ich habe eventuell eine Karrieremöglichkeit, die für dich dennoch spannend sein könnte.“ Diese direkte, aber respektvolle Kommunikation zeigt, dass wir den Kandidaten als Person wahrnehmen und nicht nur als potenziellen Bewerber.
So kannst deine Kandidaten besser adressieren:
- Beobachte die Signale: Achte auf das Verhalten der Kandidaten und interpretiere es richtig. Tip-Toers sind neugierig, aber nicht bereit für einen Wechsel. Latent-suchende könnten bei der richtigen Gelegenheit wechseln, aber sie müssen behutsam angesprochen werden.
- Sei ehrlich in der Kommunikation: Anstatt Menschen als „passiv jobsuchend“ zu kategorisieren, sei ehrlich über ihre Situation. Eine offene und ehrliche Ansprache bringt langfristig mehr Erfolg und Vertrauen.
- Wertschätze die Individualität: Jeder Kandidat ist anders. Zeige Respekt, indem du auf die spezifischen Bedürfnisse und Wünsche der Person eingehst und nicht pauschale Annahmen triffst.
Letztlich ist es unser Ziel als Recruiter, Menschen auf eine Weise zu erreichen, die ihnen das Gefühl gibt, wertgeschätzt zu werden. Das beginnt mit einer klaren, ehrlichen und respektvollen Ansprache – ohne irreführende Begriffe wie „passiv jobsuchend“.
Fazit: Wie eine wertschätzende Ansprache das Recruiting und Sourcing verbessern kann
Am Ende sollten wir uns fragen: Was ist unser Ziel im Recruiting? Geht es darum, möglichst viele Kandidaten anzusprechen, oder darum, die richtigen Menschen auf eine respektvolle und nachhaltige Weise zu erreichen? Der Begriff „passiv jobsuchend“ führt uns in die falsche Richtung. Wir sollten stattdessen auf Ehrlichkeit, Transparenz und Wertschätzung setzen. Das bedeutet, Kandidaten so anzusprechen, wie sie wirklich sind – nicht wie wir sie gerne sehen würden.
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