Die Bezeichnung passiv-aggressive Kandidaten* mag im ersten Moment unlogisch und unwahrscheinlich klingen. Denn (fast) jeder versteht unter Aggressivität einen direkten verbalen oder gar körperlichen Angriff. Jedoch bauen Menschen manches Mal in sich Aggressionen auf, die sie aus verschieden Gründen nicht direkt zeigen können oder wollen: Sie bringen diese dann sozusagen auf eine passive (= untätige), aber dennoch aggressive Art zum Ausdruck: Dem sogenannten “passiv-aggressiven” Verhalten. Da solche Handlungen nicht offen geschehen, wirken sie unterbewusst und ist deshalb viel gefährlicher: Es ist toxisch für die meisten Menschen in der Umgebung dieser passiv-aggressiven Person, weil sie sich nicht wehren (können). In diesem Blogpost möchten wir erklären, warum es wichtig ist, auf passiv-aggressive Kandidaten* zu achten und ein paar Tipps geben, wie Sie dies durchführen können.

Passiv-aggressive Verhaltensweisen: Was ist das genau?

Zunächst einmal muss man sagen, dass passiv-aggressive Verhaltensweisen nicht an sich “falsch” oder “verwerflich” ist, es geht hier nicht darum, dass ein Mensch keine Aggression zeigen darf oder soll. Es geht darum, dass ein Mensch, der sich passiv-aggressiv verhält, seine Umwelt nicht nur im Unklaren lässt, sondern auch etwas vormacht, und die Wahrheit verschleiert.

Die Person kann sich dazu gezwungen sehen, ihre wahren Gefühle zu unterdrücken und sieht keine andere Möglichkeit, diesen Ausdruck zu verleihen. Deshalb kann passiv-aggressives Verhalten sowohl egomanische Manipulation, mit einem wahren, zerstörerischen Ziel als auch eine Form des (manches Mal sogar kollektiven) Widerstands oder sogar eine Form eines Hilferufs sein.

Die Geschichte passiv-aggressiven Vorgehens: Von Widerstand, Hilferuf bis zu egomanischer Manipulation

Der erste, der von diesem Verhalten berichtete, war ein Colonel Menninger (Militärpsychiater) im Zweiten Weltkrieg (mehr hier). Er beobachtete, wie sich einige Soldaten, aber auch ganze Soldatengruppen gegen die rigide Bevormundung von Führungskräften wehrten, indem sie vorgaben, Befehle nicht zu verstehen oder vergessen zu haben, sarkastische Bemerkungen fallenließen.

Jedoch ging es bei einigen Soldaten viel weiter als bei anderen: Hier wurden die Vorgesetzte hinter ihrem Rücken systematisch schlechtgemacht und einige von ihnen fühlten sich ständig ungerecht behandelt, und jammerten und beklagten sich, und gaben vor krank zu sein. Die Vermutung: Das Ziel war, den Vorgesetzten zu bestrafen oder sogar zu sabotieren, selbst dann, wenn sie sich selbst oder andere in Gefahr brachten. Er nannte dies eine passiv-aggressive Verhaltensweise.

Eine passiv-aggressive Handlung ist nicht automatisch eine Persönlichkeitsstörung

Es ist es wichtig, den passiv-aggressiven Persönlichkeitsstil und Handlungen von der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung abzugrenzen. Bei Letzterer handelt es sich um einen psychiatrischen Zustand. Die Betroffenen leisten passiven Widerstand gegen die Anforderungen des Lebens – sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld.

Ihr Verhalten ist häufig durch Widersprüchlichkeit gekennzeichnet: Worte und Handlungen stimmen nicht überein: Die Person stimmt beispielsweise zu, eine Aufgabe zu erledigen, macht dies dann aber absichtlich nicht. Auf diese Weise sollen die abgelehnten Anforderungen passiv – durch Nichtstun – boykottiert werden.

Unterschied zwischen passiv-aggressivem Verhalten und einer Persönlichkeitsstörung

Der Übergang vom passiv-aggressiven Persönlichkeitsstil zur passiv aggressiven Persönlichkeitsstörung verläuft fließend. Menschen, die sich passiv-aggressiv verhalten, sind gar nicht oder nur begrenzt in der Lage, Konflikte offen auszutragen und zu argumentieren. Stattdessen drücken sie ihren Frust und Ärger in unbehaglichem Schweigen aus.

Warum und wie sich aus einem passiv-aggressiven Persönlichkeitsstil eine passiv aggressive Persönlichkeitsstörung entwickelt, ist im Handbuch für Klinische Psychologie & Psychotherapie von P. Fiedler ausführlich beschrieben.

Wieso sind passive-aggressive Talente so toxisch?

Sicherlich sind Sie mal passiv-aggressiv behandelt worden oder Sie haben sich selbst so verhalten. Dies bedeutet nicht automatisch, dass Sie generell passiv-aggressiv veranlagt sind. Genauso ist das auch mit Kandidaten*: Von Zeit zu Zeit hat wohl jeder von uns die Ohren sprichwörtlich auf Durchzug geschaltet, um einer ungeliebten Argumentation zu entfliehen oder andere durch Anschweigen zu bestrafen.

Jedoch: Kann eine einzelne Person leicht eine ganze Abteilung, ja sogar einen ganzen Bereich durch ihr Verhalten zerstören: Dies muss noch nicht einmal gezielt und bewusst passieren. Dazu muss sich dieses passiv-aggressive Verhaltens nicht einmal zu einem Dauerzustand entwickeln: Die Umgebung ist sofort in Alarmbereitschaft.

Typische Sprachmuster erkennen und angemessen reagieren

Wie bereits erwähnt, bedienen wir uns alle ab und zu einer passiv aggressiven Verhaltensweise. Mal aus Wut, mal aus Trotz, mal aus erlebter Hilflosigkeit. All dies ist menschlich. Es wird erst dann problematisch, wenn direkte Auseinandersetzungen generell vermieden werden. Ein gutes Indiz, um eigene, passiv aggressive Tendenzen zu erkennen, ist die Überprüfung des Sprachgebrauchs . Sprache ist ein mächtiges Instrument und wird nicht selten zu manipulativen Zwecken benutzt.

Folgende Formulierungen sind typisch für passiv-aggressive Menschen:

  • Ganz wie Sie meinen …
  • Das war nur Spaß …
  • Das war nicht so gemeint …
  • Das verstehen Sie nicht
  • Ist ja jetzt auch egal …
  • Daran kann ich mich nicht erinnern…
  • Das war so nicht ausgemacht …
  • Das hätte ich doch erledigen können …
  • Wir machen es jetzt nach Ihren Vorstellungen …
  • Es ist alles in Ordnung …
  • Dafür, dass es deine Idee war, ist es ganz gut geworden …
  • Ich denke nur nach …
  • Nein, es ist nichts …

Alle diese Formulierungen sind zutiefst manipulativ. Auch diejenigen, bei denen man es im ersten Moment vielleicht gar nicht bemerkt.

7 passive-aggressive Verhaltensweisen – und was Sie dagegen bei Kandidaten* tun können

Folgende Verhaltensweisen deuten auf eine passiv-aggressive Persönlichkeit hin:

1. Es wird über andere statt mit anderen gesprochen

Typisch ist, dass passiv-aggressive Menschen immer wieder Kommunikationsprobleme haben. Sie können grundsätzlich oder in bestimmten Situationen nicht konstruktiv zu diskutieren. Jemand, der passiv-aggressive Menschen vermeiden die direkte Konfrontation. Dennoch muss der Ärger ein Ventil finden.

Fühlt ein passiv-aggressiver Mensch sich ungerecht behandelt, wird und will er dem gesamten Umfeld davon berichten. Allerdings wird er nie auf die Idee kommen, denjenigen anzusprechen, mit dem der Kernkonflikt besteht. Stattdessen wird die andere Konfliktpartei bei Kollegen, Freunden und Familie denunziert. Die Person macht sich z.B. durch (häufig) verletzende, sarkastische Bemerkungen, die sie als Scherz verpacken und mit einem „War nur Spaß“ oder „War nicht so gemeint“ Oder macht sich mit schlechten über diese Person lustig (Pseudohumor).

Kandidaten* im Vorstellungsgespräch: Fragen Sie nach Problemen mit Kollegen oder Vorgesetzen. Achten Sie darauf, wie sie über diese und die Menschen sprechen: passiv-aggressive sind nicht selbst schuld an Problemen, sondern sind Weltmeister in seltsamen, indirekten Schuldzuweisung wie z.B. “das waren die Umstände”.

2. Anderen wird ein schlechtes Gewissen gemacht

Es gibt gutes und schlechtes Schweigen – aber schlechtes Schweigen kann vernichtender sein als tausend gemeine Worte. Passiv-aggressive Menschen wissen dies und nutzen diese Schuldzuweisung gezielt als Waffe und Kanal. Wenn jemand sie auf einen Fehler hinweist, ziehen sich passiv-aggressive Menschen zutiefst verletzt zurück: Sie können schlecht mit Kritik umgehen und nehmen das persönlich. Oft sprechen sie tagelang nicht mit der anderen Person, die sie ihrer Meinung nach zu Unrecht zurechtgewiesen hat. Sie können dieses Schweigen sogar theatralisch mit Tränen ihre Opferrolle betonen und wortlos-depressiv in Selbstmitleid baden.

Ziel ist es, der bzw. den anderen Person(en) ein schlechtes Gewissen zu vermitteln: Sie sehen sich in einer Verteidigungsstrategie. Passiv-aggressive Menschen hoffen, dass die andere Partei das Schweigen irgendwann nicht mehr aushält und sich entschuldigt. Und man kann beobachten: Oft funktioniert dies. Wer schon einmal angeschwiegen wurde, der weiß, wie unerträglich sich das anfühlen kann.

Kandidaten* im Vorstellungsgespräch:
Fragen Sie danach, was eine Person macht, wenn sie von einem Kollegen auf einen Fehler hingewiesen werden, in dem Sie ein konkretes Beispiel nehmen (nicht allgemein fragen).

3. Rachefantasien dominieren die Gedanken und dann die Handlungen

Wer passiv-aggressiv ist, wird keine Kränkung vergessen: Sie sind immer ultra-nachtragend. Dem äußeren Anschein nach ist das Streit verursachende Thema längst vom Tisch – die passiv-aggressive Person schmiedet jedoch im stillen Kämmerlein Rachepläne. Sobald sich eine Gelegenheit bietet, wird die andere Streitpartei in Verruf gebracht oder deren Arbeit boykottiert.

Die einfachste Form ist, im Berufsleben z.B. eine wichtige Informationen nicht weiter zu leiten, um den Kontrahenten „dumm dastehen“ zu lassen. Typisch sind auch rücksichtslose Sabotageakte, die ganze Gruppen treffen bzw. viel größere Ausmaße haben, als nur eine Person zu schädigen. Ist die Zielperson der Chef, kann das zu großen Katastrophen führen wie absichtliche Serverabstürze oder verpasste Vertriebschancen.

Kandidaten* im Vorstellungsgespräch:
Fragen Sie nach einer Situation, wann ein Chef sie nicht fair behandelt hat und wie sie das gelöst haben. Bleiben Sie hart Frage nach der Darstellung der Situation und achten Sie auf Unwahrheitseichen.

4. Es wird absichtlich schlechte Arbeitsleistung erbracht

In jedem Beruf fallen unbequeme Aufgaben an. Jedoch: Wer passiv-aggressiv ist, wird keineswegs einsehen, warum er sich damit befassen sollte: Diese Personen sind völlig nach innengerichtet und so mit sich beschäftigt, dass noch mehr Belastung sie komplett aus dem Gleichgewicht bringt.

Stattdessen wird versucht, die unbeliebten Tätigkeiten auf andere abzuwälzen. Dies geschieht, indem derjenige absichtlich so schlecht oder langsam arbeitet, dass ihm die Aufgabe abgenommen werden muss.

Kandidaten* im Vorstellungsgespräch: In Assessment Center-Auswahlverfahren wird gern aus diesem Grund eine ganz unangenehme Aufgabe z.B. im Postkorb eingebaut, um zu testen, wie der Kandidat* reagiert. Es gibt standardisierte Fragetechniken, die Ähnliches im Vorstellungsgespräch simulieren können, damit man herausfindet, ob die Person sich der unangenehmen Aufgabe stellt.

5. Ärger wird verschleiert

Passiv aggressive Menschen machen häufig eine gute Mine zum bösen Spiel. Das bedeutet, dass sie z. B. lieb und freundlich zu jemandem sind, den sie eigentlich aus tiefstem Herzen verachten. Innerlich brodelt jedoch die Wut. Irgendwann werden die angestauten negativen Gefühle sich ein Ventil suchen, bei denen der andere zu Schaden kommt.

Das Berufleben erfordert, dass wir Privates und Persönliches zurückstellen. So kennt jeder Handlungen und Gedanken, die nicht konform sind: Man lächelt, obwohl man traurig ist oder hilft widerwillig jemanden, der einen früher schlecht behandelt hat. Kommt es allerdings ständig vor, dass äußere Handlung und inneres Empfinden nicht zusammenpassen, ist die Wahrscheinlichkeit da, das sich dies schnell hochschaukelt. Gerade im Umfeld von sehr dominanten oder ungerechten Chefs bzw. destruktiven Teamstrukturen kann man diesen schwelenden Ärger oft beobachten.

Kandidaten* im Vorstellungsgespräch:
Nicht selten fragen Kandidaten* die aus so einem Umfeld kommen, sehr genau nach, wie das neue Umfeld ist, um ihre vorherigen Erfahrungen zu vermeiden. Jedoch wenn man sie selbst danach fragt, werden sie es verschleiern oder gar abstreiten: Sie sind nie direkt. Je nachdem welche Formulierungen sie dabei nutzen, kann dies bereits auf ein solches Verhalten hindeuten.

6. Emotionale Erpressung und Manipulation des Umfelds

Passiv-aggressive Menschen scheuen sich, direkt um Hilfe zu bitten (Sie fühlen sich ja in der Opferrolle und damit ganz alleine). Stattdessen zeigen sie anderen wortlos, wie schlecht sie sich fühlen, damit diese ihnen eine Aufgabe abnehmen oder einen Gefallen erfüllen. Jedoch sie sind nicht immer schweigsam: Häufig beklagen sie sich laut oder schleichen dramatisierend auf den Fluren herum.

Sie hoffen, dass ihr Gegenüber oder andere ihnen daraufhin die gewünschte Hilfe zuteilwerden lassen. Hierfür werden alle Register gezogen, um Mitgefühl zu erwecken. Sie sind nahe an Dramakings und – queens und beherrschen die besondere Waffe der emotionalen Erpressung. Unterbleibt das gewünschte Hilfsangebot trotz emotionaler Erpressung, wird die passiv aggressive Person äußerst wütend.

Kandidaten* im Vorstellungsgespräch: Ob die andere Person sich mit der Übernahme der Aufgabe oder der Erfüllung des Gefallens wohlfühlt, ist für die passiv-aggressive Person zweitrangig. Deshalb kann man im Vorstellungsgespräch einfach eine Situation simulieren und fragen, wie der Kandidat* sich entscheiden und handeln würde.

 7. Boykott: Wichtige Aufgaben werden absichtlich vergessen

Mauern und Manipulation sind eindeutig Anzeichen einer passiv aggressiven Persönlichkeit. Wenn diese Menschen keinen Sinn in einer Aufgabe sehen oder auf eine bestimmte Tätigkeit schlichtweg keine Lust haben, lassen sie es sein. Nach außen hin wird das absichtliche Versäumnis als Versehen dargestellt.

Beispiel im Berufsleben: Dem passiv aggressiven Menschen wird eine Aufgabe zugewiesen, die er als unnütz erachtet. Statt über die Sinnhaftigkeit in den Austausch zu gehen, versäumt er absichtlich die Abgabefrist mit der Bemerkung: “ich habe sie vergessen.

Kandidaten* im Vorstellungsgespräch: Passiv-aggressive Menschen lösen auch Entscheidungsprobleme mit “vergessen” oder “nicht antworten”. Ganz typisch ist es für sie, dass Sie Gesprächspartner ghosten (hier mehr).

Zusammenfassung: Kandidaten* aus der Hölle unbedingt vermeiden.

Der schlimmste Fehler beim Umgang mit passiv-aggressivem Verhalten ist  sich provozieren lassen. Um nicht in diese Falle zu gehen, ist es wichtig, dieses Verhalten möglichst rasch zu erkennen – und dann bewusst überlegt und ruhig zu bleiben.

Die Lösung ist, die Taktiken zu enttarnen, keine Entschuldigungen akzeptieren, nur Handlungen, nicht aber bloße Absichtserklärungen zu bewerten: Klare Ansagen machen und klare Antworten einfordern. Und: unbedingt eine Win-win-Situation anstreben, weil passiv-aggressive Charaktere alles daransetzen wollen, bloß nicht zu verlieren – und dafür notfalls auch auf zerstörerische Schritte zurückgreifen.

Es ist besser, diese Menschen schon im Vorstellungsgespräch zu identifizieren und nicht in ein Team zu holen. Oder wenn es Spezialisten sind, nicht zu versuchen, in ein Team zu integrieren. Probiert man es doch, ist die Folge: ein ständiges Klima von Unsicherheit.

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    Author

    • Sie ist pragmatische Talentfinderin, Expertin im ‚Finden‘ talentierter Mitarbeiter, Social Recruiting Coach, Master-Sourcerin, Trainerin und Autorin des Besteller-Kompendiums “Praxiswissen Talent Sourcing” sowie Co-Autorin des Bestellerbuches ‘Praxishandbuch Social Media Recruiting’. Nach einem BWL-Studium in Deutschland und Großbritannien, langjähriger Erfahrung als Personalmanagerin in renommierten Qualitätsunternehmen der Industrie und als Partnerin bei Top-10-Personalberatungen gründete sie 2005 die Intercessio GmbH. Ihr Motto: In Dir muss brennen, was Du in anderen entfachen willst – Augustinus

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