Kennen Sie das: Es läuft so richtig gut – und dann will man einfach genau das unendlich mal unendlich wiederholen? Und die innere Stimme ruft laut wie im Temporausch: Mehr davon. Dann wird nicht mehr so genau hingesehen, denn das eigentliche Ziel: Qualität und Klasse werden durch Geschwindigkeit und Masse überlagert. Diese Situation passiert auch im Social Recruiting und Active Sourcing. Wir wollen klären, warum es so scheint, als würden online eine große Zahl Recruiter und Sourcer ihre Werte über Bord werfen. Und es gar nicht merken.
Inhaltsverzeichnis
- Sackgasse Temporausch, Turbo: Datengier
- Der Wunsch ist der Vater der Gedanken!
- Der Widerspruch: Masse versus Wertschätzung
- Erde an Recruiter: “Höher, weiter, schneller” ist kein Erfolgsversprechen!
- Selbstsabotage durch die Recruiter-Intuition
- Digitalisierte Personalbeschaffung ist kein Ponyhof
- Fazit: Viel hilft nicht viel
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Sackgasse Temporausch, Turbo: Datengier
Viele denken: “Online sind eine so große Zahl interessanter Kandidaten, man muss nur einfach XING oder LinkedIn anschalten: Und da sind sie schon.” Und wo so viele vermeintliche gute Kandidaten-Infos vorhanden sind, kommt man schon ganz schnell auch in die Versuchung, im Temporausch alles, was so ähnlich aussieht wie ein interessanter Kandidat in die Bewerberdatenbank übernehmen zu wollen. Kurz: Recruiting und Sourcing-Tools werden vielfach aus Geschwindigkeitsgründen gebucht, und von ihnen wird erwartet, mehr Auswahl und Möglichkeit an Kandidaten zu “(er-)schaffen”.
Der Wunsch ist der Vater der Gedanken!
Die Gedankenkette lautet: Bessere Tools = schneller und mehr Kandidaten. Diese Logik basiert auf der Meinung, dass “Digitalisierung Software ist, Software ist nur ein Tool, das mehr oder weniger automatisch und blitzschnell Kandidaten findet oder dafür sorgen, dass Kandidaten eine Anzeige oder Karrieresite finden.” Oberflächlich klingt das zwar logisch und entspricht dem Personalbeschaffungs-Traum: Per Mausklick zum Kandidaten. Man bucht ein Tool, nützen es auf die versprochene Weise – und dann klappt es schnell und hoffentlich sogar automatisch. Dahinter steckt die bisherige Erfahrung: Die Technologie hat schon seit der Industrialisierung die Arbeit vereinfacht. Und man nimmt an, das geht so weiter. Aber das ist bei genauer Hinsicht heute eine Sackgasse.
Der Widerspruch: Masse versus Wertschätzung
Alles beginnt mit einem Vorurteil bzw. einer Fehleinschätzung: Offline-Recruiting Prozesse sind gleich Online-Prozesse. So nimmt man an, der Einsatz von Online-Tools bringt in jedem Fall eine Arbeitserleichterung, ist erfolgsversprechend, bringt mehr, bessere Kandidaten – schnell und effizienter. Es wird gar nicht die Frage gestellt oder vorher getestet, ob Tools wirklich helfen werden und können.
Im Gegenteil: Je größer der gefühlte bzw. tatsächliche Druck des “War for Talents” ist, umso größer das Verlangen, das Personalbeschaffungs-Problem mit digitalen Tools schnell aus der Welt zu schaffen. Und für schlechte Zeiten vorzusorgen: Viele Kandidatenkontakte zu speichern. Was unternehmerisch lobenswert erscheint. Aber wenn man diese Offline-Verhaltensweisen einfach nur online einsetzt, die Recruiting-Prozesse nicht verändert, dann bleiben die Werte vor lauter Temporausch und Datengier auf der Strecke: Viele Kandidaten sind nicht automatisch mehr gute Talente.
Erde an Recruiter: “Höher, weiter, schneller” ist kein Erfolgsversprechen!
Die Social Media Portale verkaufen es so: Mit XING und LinkedIn “finden Sie schneller Kandidaten”. Spätestens, wenn keiner mehr antwortet, weiß der letzte Active Sourcer, dass das Werbesprüche sind. Und jetzt mal ehrlich: “Mit dem TalentManager erreichen Sie immer die richtigen Kandidaten” – wer glaubt denn sowas?
Aber es geht hier weniger um das Active Sourcing. Ganz im Gegenteil, das Online-Recruiting ist noch viel stärker vom falsch verstanden Temporausch betroffen: Seit Jahren ist das Motto vieler Jobboards: “Mit uns geht online alles schneller”. Das verkauft sich gut, weil es die Hoffnung der Kunden bzw. Recruiter widerspiegelt: “Mit mehr Anzeigen ist man noch schneller”. Aber auch durch Wiederholung der Behauptung wird diese nicht wahrer.
Hier ein aktueller Screenshot von der Website von Carrierbuilder:
Der Temporausch läßt also keine Zeit für eine personalisierte Ansprache und Kommunikation mit Kandidaten. Dies ist aber die Basis dafür, echte Talente zu identifzieren, zu gewinnen und dann zu halten: Kurz – die Basis für das Talent Management.
Selbstsabotage durch die Recruiter-Intuition
Recruiter – wie alle Menschen – machen das gern, worin sie gut sind: Und das ist meistens das Interviewen – das Auswählen aus vielen Bewerbern. Also werden sie immer alles tun, um genau diese Situation zu schaffen: Viele Bewerber/Kandidaten. Darüberhinaus spielt die Menschenkenntnis, die “Selektionserfahrung”, auch genannt die “Beurteilungskompetenz” eine zentrale Rolle im Recruiting Prozess. Aber genau das ist das Problem: Diese hängt in hohem Maße von der Intuition und von den Wertebildern der Realen Welt ab. Und versagen online meist jämmerlich.
Auch dann, wenn erprobte Testverfahren eingesetzt werden: Letztlich wird am Schluss eine Bewertung durchführt. Dieser Intuitions- und Emotions-Schwerpunkt steht im krassen Widerspruch zur erfolgreichen Nutzung von Digitalisierungs-Tools: Diese können nur mit Logik gesteuert werden. Es sind komplexe Systeme. Also haben wir gleich zwei Ursachen für das Scheitern eines Recruiting-Temporausches:
- Die Digitalisierungstools werden oft nicht richtig genützt und
- das noch, um ein unpassendes Massenziel zu erreichen.
Digitalisierte Personalbeschaffung ist kein Ponyhof
Fakt und die Wahrheit ist, die so gern verdrängt wird (nicht nur von HR und dem Recruiting und Sourcing )
Die Digitalisierung verkompliziert.
Sie vereinfacht ganz und gar nicht!
Eine der Grundregeln der Digitalisierung ist, dass sie, wie ein Midas des 21. Jahrhunderts in Erscheinung tritt: Alles was sie berührt, wird extrem komplex und verkompliziert. Das liegt an der heutigen eingesetzten Software – sie bringt immer mehr Informationen. Diese sind aber nicht mehr einfach auszuwerten, da es sich um komplexe Datenverbindungen handelt. Sie erfordert neue Skills von Usern, Skills die sie in die Lage versetzen, die Tools zu steuern und die Daten (richtig) zu lesen und verstehen.
Ob es das Mobiltelefon war, das zum Smartphone wurde oder ein Auto, das nun ein fahrender Computer wird: Was sich die Digitalisierung einverleibt, hat immer komplizierte Schnittstellen zur realen Welt: In einander greifende, algorithmische Systeme. Und diese sind keine Automaten (Plug-and-Play gibt es nicht mehr), sie ändern sich ständig und unerwartet. Erfolgreich kann man diese Systeme alle nur nützen, wann man sie versteht und die entsprechende Methodik beherrscht. Recruiter und Sourcer müssen also diese Systeme nützen lernen und die entsprechenden Kompetenzen entwickeln. Das heißt sie müssen die Ebene verlassen: Das sind alles nur Tools, bei Fehlern ist der Tool-Anbieter schuld.
Fazit: Viel hilft nicht viel
Wer in der Digitalisierung nach einfachen Lösungen sucht, versucht dem Schicksal in die Speichen zu greifen und die Digitalisierung aufzuhalten. Das funktioniert nicht und verhindert nur den Erfolg des Einsatzes. Es gibt also konsequenterweise keine einfachen Oberflächen und Tools mehr, mit denen man schnell mehr gute Kandidaten findet oder sie für das Unternehmen gewinnt. Der Temporausch ist, ebenso wie der Wunsch viele Kandidaten zu speichern, eine Sackgasse: Es geht im heutigen Web 4.0 um Talent Management, um Qualität vor Quantität, um Nachhaltigkeit vor Geschwindigkeit.
Ohne diese neue Online-Welt und ihre algorithmischen Tools wirklich verstehen (lernen) und ein Digital Mindset zu entwickeln, geht es für erfolgreiche Social Recruiter und Active Sourcer heute nicht mehr. Sonst wird es schwierig, die Ziele zu erreichen und immer mehr Misserfolge stellen sich ein. Wie man im analogen Beispiel “Verkehrsunfälle” erkennen kann: Es sind nicht die Autos oder Straßen an Unfällen schuld, sondern es geht um menschliches Können bzw. Versagen. Auch im Fall der Tesla-Unfälle: Wir sind noch sehr weit weg vom völligen Autopiloten.
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